Die Hände sind es, die das Glück schaffen und den Kummer vertreiben.
Aus Russland
Die Welt be-greifen
Be-greifen
Kinder be-greifen die Welt! Das erste Tor zur Welt ist unser Mund. Hierüber nehmen Säuglinge erstmals etwas aus der äußeren Welt wahr. Doch schon bald beginnen Babies, gezielt auch mit ihren Händen zu tasten, fühlen, greifen und mehr. Alles wird angefasst, in die Hand genommen. So entstehen durch die verschiedensten Materialien an den unterschiedlichsten Gegenständen sehr vielfältige Sinneserfahrungen.
Nach und nach entwickeln Kinder so ein Gefühl für ihre Hände und setzen sie immer gezielter ein. Bis zur Einschulung sollten Kinder sicher einen Stift führen, mit der Schere etwas ausschneiden können, Schnürsenkel binden, viele Fingerspiele kennenlernen und dabei
erfahren, dass ihre Hände sehr nützlich sind und
beim Tätigsein mit ihren Händen sehr sicher sein
Eine sichere Handmotorik macht selbstbewusst
Gerade Unsicherheiten auf dem Gebiet der Handmotorik führen auch häufig zu Unsicherheiten im Selbstbewusstsein und zu Konzentrationsschwierigkeiten. Daher möchte ich hier einige Tipps geben, mit welchen kleinen Tricks man die lieben Kleinen auf diesem Gebiet fördern kann.
Konzentrationsmangel und Unruhe können mit der Handmotorik zusammenhängen
Die Arme und damit die Hände sind die einzigen Gliedmaßen, die frei jederzeit beweglich im Raum sind. Das ist natürlich sehr nützlich, verlangt aber auch eine Menge Steuerung.
Drei Tipps zur Förderung der Handmotorik
Tipp 1: Viel Erdung bei freier Handbewegung
Bei allen Arbeiten am Tisch oder bei Fingerspielen ist es sinnvoll, dass die Füße fest auf dem Boden stehen. Auf einem zu großen Stuhl hängen sie sonst auch noch „in der Luft“ und sorgen für Ablenkung der Handbewegung und Verlust der Konzentration. Meine Klasse steht meist bei Fingerspielen und wenn ich sehe, dass Kinder bei der Arbeit beispielsweise auf einem Stuhl knien, spreche ich sie an, sich auf den Stuhl zu setzen. Tisch und Stuhl müssen zur Körpergröße des Kindes passen!
Tipp 2: Die eine Hand muss tun, die andere ruhen.
Gerade beim Malen oder Schreiben fällt es Kinder oft nicht leicht, sich nur auf die eine Hand zu konzentrieren. Wohin mit der anderen Hand? Kann sie schon das Heft oder Papier halten und ruhig darauf liegen oder wirkt das Kind abgelenkt und fängt immer wieder an, mit beiden Händen herumzuspielen? Dann sollte mit der zweiten Hand unbedingt etwas gehalten werden. Einen Handschmeichler aus weich abgerundetem Stein oder Holz in der ruhenden Hand zu halten, kann da sehr helfen!
Tipp 3: Es im Alltag den Händen nicht zu leicht machen
Beim Händewaschen ein Stück Seife anstelle von Flüssigseife verwenden
Mit Wachsmal- oder Buntstiften malen anstelle von Filzstiften
Kneten am besten mit Knetbienenwachs anstelle von künstlich weich gemachter Kinderknete
Auf Instagram habe ich kürzlich erst von meinem letzten Besuch bei Schaf Rosina berichtet. Rosinas kleine Herde hat die Reste vom Saftpressen mit meiner Klasse bekommen (der ganze Bericht über unsere Ackerbauepoche folgt noch). Es haben mich seitdem einige Fragen erreicht und ich möchte bei der Gelegenheit gern noch einmal mehr über das „Rosinaprojekt“ berichten, dazu auch Downloads zur Verfügung stellen.
Zu Besuch bei Rosina und ihrer Herde
Die Idee: Lesen und mittun
Auch wenn ich nicht wirklich zur Fraktion Handarbeit gehöre, genieße ich sehr die Wollwerkstatt von Rosinas Besitzerin, die ich auch privat gut kenne und die in meiner Klasse i-Kraft ist. Sie führt Groß und Klein auf liebevolle und naturverbundene Weise an die Schafwolle heran – von der frischen Schur bis zur Verarbeitung der Wolle – Waschen, kämmen, kardieren, verspinnen, färben, filzen und mehr. Und: Sie hat in ihrer Herde dieses ganz besondere Schaf 🙂 Das Charakterschaf mit dem schwarzen Fleck an der Seite, der aussieht wie eine Rosine. Also genug Stoff für ein Kinderbuch zum Mitmachen!
Das Familienprojekt
Meine Schwester Dr. Daniela Heidtmann und ich haben unser gemeinsames Asteya-Projekt, entstanden aus der Gründung von Danielas Asteya Verlag und unserer gemeinsamen Leidenschaft für Geschichten zum Mitmachen. Somit ist Daniela für Rosinas Wolle Lektorin, Co-Autorin und Verlegerin. Die Bücher und das Asteya-Projekt sind also vor allem ein leidenschaftliches Herzprojekt zweier Schwestern.
Von rechts nach links: Meine Schwester, ein weiteres Wolltier und ich
Damit ist auch die Frage beantwortet, in wie weit ich neben meiner Lehrertätigkeit Reichtümer anhäufe – ähem, welche Reichtümer..? Durch den kleinen Asteya Shop wollen wir einen Teil der Produktionskosten refinanzieren und passende Artikel anbieten, die ökologisch und fair hergestellt wurden. Das Buch ist übrigens klimaneutral und in Deutschland gedruckt. Und sollten Überschüsse entstehen, gilt unser Asteya-Prinzip, dass gute Zwecke mit profitieren werden.
Für meine Klasse
Zurück zu Rosina. Ich habe das Buch auch ganz besonders für die Kinder meiner Klasse geschrieben. Es sollte wie eine Fabel geschrieben sein und somit gut ins zweite Schuljahr passen, begleitend dazu viele Übungen für die Sinne in Form der Wollwerkstatt, mit Flötenliedern und mehr. Corona kam dazwischen. Nun sind wir bereits im dritten Schuljahr – das macht aber nichts, weil die Wollwerkstatt immer noch sehr passend für die Kinder ist. Und das nicht nur für die Sinnespflege. Schließlich stehen die alten Handwerke und Urberufe thematisch im Mittelpunkt der dritten Klasse. Also ist das Wollhandwerk weiterhin ganz hervorragend für meine Klasse geeignet und wir können uns auch noch anhand des Büchleins mit den Wortarten befassen. Lena Fischer, Waldorflehrerin und freie Künstlerin aus Mannheim, hat übrigens die schönen Aquarellbilder zu der Geschichte gemalt. Das soll nicht unerwähnt bleiben!
Downloads für Euch
Ich stelle hier kostenlos einige Downloads zur Verfügung, für alle, die das Buch schon haben und damit arbeiten wollen. Wer das Buch noch nicht hat, kann einen Eindruck bekommen über den Blick ins Buch. Ich freue mich über Eure Rückmeldungen und Berichte dazu. Lieben Dank!
Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen.
Gotthold Ephraim Lessing
Das dritte Jahrsiebt
Um den 12. Geburtstag herum setzt die Pubertät ein, wir sind mitten in der sechsten Klasse oder am Anfang der siebten Klasse. Es sind die letzten Jahre der Klassenlehrerzeit und man muss den Heranwachsenden bereits mit Blick auf den nächsten Entwicklungsschritt – der Suche nach der Wahrheit – begegnen.
Wahrheit und Urteil
Mit dem Einsetzen der Pubertät findet nicht nur der körperliche Umbau zum Erwachsenen statt. Es beginnt wieder eine Suche – die Suche nach der Wahrheit, die dem Bedürfnis nach einem eigenen Urteil entspricht. Die Urteilsreife tritt ein. Erfahrungen liefern Erkenntnisse, der junge Mensch will die Welt verstehen, ihre Gesetzmäßigkeiten und das für ihn Richtige denken und tun. Dabei wird auch viel polarisiert und Extremes ausprobiert. „Die Welt ist wahr“ ist die Stimmung und der Motor, das Richtige zu wollen. Dieses Wollen treibt weitere besondere Suchen im eigenen Leben an: Die Suche nach der wahren Liebe, nach wahren Freundschaften und nach den Geheimnissen der Welt.
Eine weitere Trennung vollzieht sich
Auch die bisherigen Vorbilder werden geprüft: Wie wahr seid ihr denn eigentlich? Es offenbaren sich Schwächen. Nicht nur die Eltern, sondern auch vertraute, bis dato quasi bedingungslos geliebte Lehrer werden nun genau beobachtet und hinterfragt. Eine neue Trennung setzt ein, die seelische Trennung von den Eltern und Bezugspersonen, vollzieht sich mehr und mehr. Auch entsteht dadurch häufig ein neues Gefühl von Einsamkeit und eine Sehnsucht nach neuen Vorbildern und Idealen.
So reagiert der Waldorflehrplan
Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und das Streben nach Unabhängigkeit wird stärker. Der Unterricht an den Waldorfschulen bekommt jetzt eine besondere Gliederung: Ein Phänomen oder eine Tatsache wird an die Schüler herangetragen, was meist zunächst ein Gefühl auslöst. Am Folgetag erst wird dann das Erlebte, Neue wiederum aufgegriffen und zu einem sachlichen Urteil bzw. einer Schlussfolgerung oder Begriffsbildung geführt. Die Schülerinnen und Schüler erfahren zudem im Unterricht von den unterschiedlichsten Biografien und Lebensleistungen.
Dieses Vorgehen, das selbständige Erlangen von Erkenntnissen, das Kennenlernen neuer Ideale, beflügelt die Jugendlichen sehr.
Bis nach dem 21. Lebensjahr das „Ich“ vollständig ausgereift ist, sind viele Entwicklungsaufgaben wichtig.
Fragen zum zweiten Jahrsiebt
Wann und wie wurden die körperlichen Veränderungen bemerkt und erlebt?
Gibt es einen Hang zu Rauchen, Alkohol oder anderen Rauschmitteln?
Zeigen sich Depressionen, Wutausbrüche oder sind physische Krankheiten entstanden?
Wie kräftig ist der/die Jugendliche? Welche Sportarten werden ausgeübt oder neu entdeckt?
Welche neuen Interessenschwerpunkte und Berufswünsche entwickeln sich?
„Warum gibt es den Klassenlehrer für so viele Jahre? Offenbar wollen die Kinder in den Tiefen ihrer Seele während eines großen Lebensabschnittes kontinuierlich wahrgenommen, in ihrer Entwicklung gesehen werden (…). Im Bewusstsein des Klassenlehrers fließt zusammen, was das Kind in diesen sieben bis acht Jahren erlebt. Er bildet eine seelisch-ätherische Hülle um das Kind.“
aus: Röh/Thomas (Hg) – Unterricht gestalten – Verlag am Goethanum
Die drei Urbedürfnisse der kindlichen Entwicklung: Die Suche nach dem Guten, dem Schönen und der Wahrheit.
Mit dem Zahnwechsel erfolgt der Übergang ins zweite Jahrsiebt, die Stimmung und das Urbedürfnis „Die Welt ist schön“ werden geweckt. Im zweiten Jahrsiebt steht die seelisch-geistige Reifung im Mittelpunkt. Es entwickelt sich eine Art „Innenleben“.
Jetzt wird das Kind ein Schulkind – und ein*e Lehrer*in tritt sein Leben
In diesem Alter nimmt die Fähigkeit der Kinder zu, aus den bisher gewonnenen Erfahrungen eigene Vorstellungen zu bilden, sich gezielt zu erinnern und die Aufmerksamkeit willentlich auf etwas zu konzentrieren. Das eigene, innere Gefühl wird zu einer Art „Antenne“ für alles, was in der Welt geschieht. Beim Kind entsteht das Bedürfnis, das Schöne zu erleben, das Schöne auf der Welt zu suchen und sich auf positive Weise mit ihr zu verbinden. Die Welt beobachten, das Schöne zu finden, selbst Schönes zu gestalten. Es gibt viel zu entdecken, zu lernen und auszuprobieren!
In dieser Zeit und dieser Stimmung bewegt sich hauptsächlich die Klassenlehrerzeit an der Waldorfschule. Als wichtige Bezugsperson und „geliebte Autorität“ trägt der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin in gut erzählten Geschichten und schönen Gedichten, wohlklingenden Liedern und harmonischen Bildern viel Ästhetisches an die Kinder heran. Doch natürlich werden die Kinder auch selbst aktiv und wirksam.
Eine Beziehung zur Welt schaffen
Es steht also in dieser Zeit alles, was in der Welt erlebt wird, im direkten Verhältnis zum Menschen. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Natur einfach kein „äußeres Objekt“ ist, sondern erst die Beziehung des Kindes zur Welt aufbaut. Durch diese Verbundenheit wird ein Gefühl der Verantwortung angelegt und im besten Fall fürs ganze Leben gefestigt.
Die Mitte der Kindheit und die Waldorfpädagogik
Wir sind also in der Mitte der Kindheit. Die Freude an der künstlerischen Darstellung ist jetzt ebenso groß wie das Beobachten und Erkennen der Prozesse und Phänomene der Welt. Die Waldorfpädagogik antwortet mit Theaterspiel, selbst gestalteten Epochenheften, Bildern und eigenen Zeichnungen. Wenn beispielsweise in der 5. Klasse die erste Pflanzenkunde stattfindet, wird nicht etwa ein Sachtext zu einzelnen Pflanzen gelesen und Pflanzenteile schematisch „abgearbeitet“. Im Sinne der Phänomenologie wird etwa ein Löwenzahn ausgegraben und genau diese Pflanze nicht nur angefasst, sondern auch gründlich angeschaut, anschließend von der Wurzel bis zur Blüte so genau wie möglich gezeichnet. Dabei werden Details entdeckt und es entstehen Fragen. Diese führen dann Schritt für Schritt zum Wissen. Erst am Ende werden dann auch die Einzelteile der Pflanzen benannt. Dem gelernten Wissen wird so eine Lebendigkeit verliehen, ein Gesamtzusammenhang und eine weit reichende Verbundenheit.
Fragen zum zweiten Jahrsiebt
Wann begann der Zahnwechsel?
Wie waren die Einschulung und die Erfahrung der Schulanfangszeit?
Geht das Kind gern zur Schule?
Hat das Kind ein gutes Gedächtnis?
Wie ist die Beziehung zum/zur Klassenlehrer*in?
Wie gestaltet sich die Beziehung zur Klasse und den Mitschülern?
Was macht das Kind in seiner Freizeit und in den Ferien?
Welche guten Gewohnheiten gibt es zu Hause und in der Schule?
Welche Pflichten übernimmt das Kind?
Welche Normen und Werte bzw. Religiosität gibt es im Elternhaus?
Im ersten Jahrsiebt öffnet sich das Kind mit Andacht der Welt: Es bewundert das Kleine, eine Blume, einen Käfer, aber ebenso den Erwachsenen, den es nachahmt.
Gudrun Burkhard
Bei der Geburt ist in der Regel schon alles, was sich später entwickeln muss, bereits angelegt. Die Kinder bringen es selbst zur Ausreifung, d.h. sie müssen also im Sinne einer Erziehung zur Freiheit von Anfang an ihr Leben selbst ergreifen. Dabei werden sie durch bestimmte Anregungen von außen unterstützt. Es ist besonders förderlich, wenn die Allerkleinsten eine kindgerechte Umgebung mit menschlicher, liebevoller Unterstützung erfahren. Aufmerksame, hilfreiche Erwachsene, die zuverlässige Wegbegleiter sind.
Die Welt ist gut
Nach der Geburt bis etwa im Alter von sieben Jahren lebt das Kind in der Stimmung „Die Welt ist gut.“ Was bedeutet das? Das Kind ergreift in dieser Zeit durch Nachahmung seine Umgebung, erprobt und schult dabei auch den eigenen Körper. Es kommt an in der Welt. Es lernt, sich aufzurichten, zu gehen, zu sprechen und zu denken. In dieser Zeit kommt es besonders auf uns als Vorbild an, denn ein Kind erkennt oder wertet nicht, ob es ein gutes oder schlechtes Vorbild erlebt. Jedes Vorbild wird voll angenommmen und eben für „gut“ befunden. „Die Welt ist gut“ ist ein tiefes Bedürfnis, ein Urbedürfnis. Ein Kind lebt und überlebt in der Annahme, dass alles so wie es gerade ist, einfach richtig und gut sein muss. Darum bringt es als innere Stimmung und Haltung mit: Die Welt ist gut. Sonst würde es schließlich keinen Sinn machen, die Welt zu entdecken, nachzuahmen und für sich zu adaptieren!
Fragen zum ersten Jahrsiebt
Nicht nur mit Blick auf die eigenen oder anvertrauten Kinder kann es ein guter Impuls sein, an dieser Stelle auf bestimmte Leitfragen zu schauen, die Voraussetzungen ins Bewusstsein zu holen, unter denen sich Kinder entwickeln. Auch für die eigene Biografie kann eine solche Reflexion über bestimmte Fragestellungen aufschlussreich sein, etwa
Wie wurde das Kind empfangen? Wunschkind, unverhoffte Schwangerschaft, Zweifel und Sorgen in der Schwangerschaft?
Wie verlief die Geburt bzw. was ist darüber bekannt? Termingerecht, schnell oder langwierig, Komplikationen, medizinische Eingriffe dabei oder danach?
Wie lebte das familiäre Umfeld? Gab es Haus, Wohnung, Garten? Eigenes Zimmer oder gemeinsam mit Geschwistern etc. Wie war die Umgebung – Land oder Stadt? Medienkonsum? Sinnesreize?
Gab es Krankheiten in der Familie?
Wie ist oder war der menschliche Umkreis? Zusammenleben, Familie, Umzüge, außerfamiliäre Bezugspersonen wie KiTa, Gruppen etc.
Diese Fragen dienen als Impuls und erheben als biografische Schlüsselfragen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kann hilfreich sein, Notizen zu machen, sich mit anderen auszutauschen und dabei weitere Fragen zu entwickeln.
Das Schöne bewundern Das Wahre behüten Das Edle verehren Das Gute beschließen:
Es führet den Menschen im Leben zu Zielen, im Handeln zum Rechten, im Fühlen zum Frieden, im Denken zum Lichte und lehrt ihn vertrauen
Auf göttliches Walten in allem, was ist. Im Weltenall, im Seelengrund
Rudolf Steiner
Die ersten drei Jahrsiebte und ihre Entwicklungsaufgaben
Entwicklungsaufgaben – das Wort sagt bereits Einiges. Aufgaben bekommt man, man nimmt sie an, man geht sie aktiv an. Man wird nicht entwickelt, sondern man entwickelt sich.
In der Waldorfpädagogik wird die Entwicklung von Heranwachsenden in drei Entwicklungsstufen von jeweils sieben Jahren gesehen, die ersten drei Jahrsiebte. Jedes Jahrsiebt ist von einer gewissen Stimmung geprägt und bringt ihre Aufgaben mit, die es zu bewältigen gilt.
Worauf es in dieser Zeit ankommt und welche Fragen auch für die eigene Biografie gestellt werden können, möchte ich mit meiner kleinen Reihe „Die Welt ist gut, schön und wahr“ vorstellen. Ich hoffe, ich kann dabei viele Impulse geben.
Über unsere künstlerische Arbeit zum Schuljahresbeginn und die Idee, mit sehr viel Kunst das Schuljahr zu beginnen. Das ist seelisches Erleben und außerdem war jetzt deutlich zu spüren: Es ist wieder richtig SCHULE
Die Kinder konnten sich 5 Monate nicht als ganze Klasse erleben
Was hat während der Zeit des Lockdowns gefehlt? Genau das, was kein Homeschooling der Welt jemals ersetzen kann: Das Miteinander, das gegenseitige Wahrnehmen und die besondere künstlerische Arbeit, die es so nur in der Schule gibt: Das Aquarellmalen nass-in-nass, das Weben, das gemeinsame Lauschen und Spielen von besonderen Klanginstrumenten. Dabei die anderen Kinder erleben, voneinander lernen, sich miteinander austauschen. Und gerade das künstlerische Element wirkt stark im Seelischen. Ein Kind lernt nicht vom Blatt oder Bildschirm – es ist die Begegnung, das Vorbild der lieben Lehrperson und die Gemeinschaft mit anderen Kindern, die das Lernen fördert.
Jeder Schöpfungstag durfte erklingen
Am ersten Unterrichtstag sprach die Klasse darüber, was eigentlich der Mensch alles durch sein Schaffen auf diese Welt gebracht hat. Die Kinder stellten sich eine Welt vor ohne die Dinge, die von Menschenhand entstanden sind. Es entwickelte sich ein sehr lebhaftes Unterrichtsgespräch darüber, wie es dann heute auf der Erde aussehen würde. Es fiel den Kindern gar nicht schwer, sich eine Natur ohne Bauwerke, Lärm und sonstigen künstlichen Dingen vorzustellen. Sie sahen die unberührte Natur gleich deutlich vor ihrem inneren Auge. Fast wie von selbst kam dann die Frage auf, wie denn die unberührte Welt mit den Pflanzen, Steinen und Tieren denn eigentlich entstanden sein konnte. So war das Unterrichtsgespräch auf den Urbeginn gelenkt. Davon wurde den Kindern dann erzählt und dies mit in die Nacht genommen.
Am zweiten Unterrichtstag ging es los mit der künstlerischen Arbeit. Die in den ersten Schuljahren gesammelten Klangerfahrungen halfen sehr. Die Finsternis sollte durch den Klang eines Gongs entstehen. Man war sich schnell einig, der Kupfergong sollte es sein und viele Kinder meldeten sich, um ihn einmal spielen zu dürfen. Dabei war man schon innerlich mit der Schöpfungsgeschichte verbunden: Obwohl der Umgang mit dem Instrument nicht durch bestimmte Vorgaben eingeschränkt war, spielte kein einziges Kind den doch recht imposanten Gong unangemessen laut oder lang.
Das Tätigwerden der Engel Gottes wurde durch das Spiel von Koshi Klangspielen begleitet, Gottes Geist und Herz ertönte in Form der Herz-Klangschale. An diesem Unterrichtstag war ein guter Grundstein für die weitere gemeinsame Arbeit gelegt. Es wurde vom ersten Schöpfungstag erzählt und dieses innere Bild wieder mit durch die Nacht genommen.
So vertieften wir mit jedem Schöpfungstag mehr und mehr unsere Arbeit. Das klanglische Zusammenspiel entwickelte sich intuitiv und sehr harmonisch. Das Erlebnis des Einhörens, der Wechsel zwischen Stille und Klang, sorgte erkennbar für eine ruhige und ausgeglichene Stimmung in der Klasse. Die ungewöhnlichsten Instrumente waren im Einsatz: Neben den Klangschalen, dem Carillon von Choroi und den Koshi Klangspielen gab es eine Schale mit Steinchen, eine Klangschale voll Wasser, ein Muschelwindspiel, Schwingstäbe aus Bronze, ein Windspiel aus Nüssen, eine Primleier, verschiedene Rasseln, Glöckchen und mehr.
So wie in der täglichen Erzählung die Schöpfung immer reicher wurde, entwickelten sich auch die Klänge. Kein Tag der Schöpfungsgeschichte klang gleich – und doch war jedesmal zu hören, wie aus der geistigen Welt die finstere Welt mehr und mehr belebt wurde. Bereits nach wenigen Unterrichtstagen war dann zu beobachten, dass die Kinder ein sehr feines Empfinden dafür hatten, welches Instrument wann besonders passend erklingen konnte. Und man begann außerdem, „seinen“ Klang zu finden. Der Klang, der für einen selbst besonders wirksam war.
Nachdem wir dann die sechs Schöpfungstage gemeinsam zum Erklingen brachten, wiederholten wir dies an den folgenden Tagen. Mit den Tieren kam Gott dem Menschen schon sehr nah und alles, was Gott bis dahin erschaffen hatte, fand sich auch im Menschen wieder. Jetzt war es an der Zeit, den „Menschen“ in seiner Vielfalt erklingen zu lassen. Dabei aufeinander zu hören und selbst zu empfinden, wann ein Klang an der Reihe ist, entwickelte sich zu einer wahren Hörkunst. Stille zuzulassen. Während anfangs nur sehr zaghaft einzelne Instrumente erklungen waren, kam es zunehmend auch zu einem Zusammenspiel, das aber durchgehend angenehm zu hören war. Wie die Kinder mit der Zeit Klänge sehr passend miteinander kombinierten, überraschte und faszinierte gleichermaßen. So waren die Fische im Wasser ein Zusammenspiel aus einer kleinen Klangschale und der Wasserschale. Und dann kann es nicht verwundern, dass am Ende der Mensch auch klanglich aus allem zusammengewebt war und die Kinder dies so darstellten.
Aquarellmalen
Auch die Aquarellbilder wurden immer reicher. Wir begannen mit dunklen Blautönen, dann kamen erst Gelb (Licht) und Rot (Feuer) dazu. Die unterschiedlichsten Tiere wurden mit Wachsmalstiften vorgemalt und als das „Paradies“ am Ende aquarelliert wurde, erhielt jedes Kind die drei Grundfarben und mischte für sein Bild passend die Vielfalt der Farben.
So hatte jedes Kind einen künstlerischen Zugang über das Hören, Farberleben und die eigene Selbstwirksamkeit.
Ein Auge Gottes am Ende der Epoche
Die Kinder haben gelernt, dass der Mensch nach der Vertreibung aus dem Paradies auf Erden selbst tätig werden musste. Und dass die Nähe zu Gott immer wieder durch Kunstwerke gesucht und gefunden wurde. Das „Auge Gottes“, ein Brauch südamerikanischer Urvölker (gefunden in der Zeitschrift „Vorhang auf“), ihren Kindern ein Symbol des göttlichen Schutzes mit auf den Weg zu geben, wurde am letzten Epochentag gebastelt. Dazu legt man zwei Holzstäbchen über kreuz und verwebt drum herum bunte Wollstücke. Die Enden der vier Holzspieße wurden mit Knetwachs in den Farben der vier Elemente modelliert.
Menschenkundlicher Hintergrund
Beim Übergang vom 9. zum 10. Lebensjahr geschieht bekanntlich bei den Kindern mit dem Rubikon ein weiterer Entwicklungsschritt, bei dem sie sich plötzlich nicht mehr inmitten ihrer Umwelt empfinden und eng mit ihr verwoben sind. Die Nachahmungskräfte des ersten Jahrsiebts bilden sich zurück. Die Kinder beginnen in diesem Zuge, die Welt um sich herum von nun an äußerlich, objektiv zu betrachten. Häufig wird dieser Schritt als endgültiger Verlust des vorherigen „Paradieszustands“ bezeichnet – was für eine Parallele zur Schöpfungsgeschichte.
Die Kinder werden also vom Nachahmer zum Selbstaktiven. Dem natürlichen Drang der Nachahmung folgen jetzt andere Kräfte, die eigene Wahl- und Entscheidungsfreiheiten ermöglichen.
Und so war es für die dritte Klasse ein guter Zeitpunkt, auch ihre bisherigen Klangerfahrungen in selbstwirksame, selbstbestimmte Klangerlebnisse umzuwandeln. Die Farben selbst zu mischen. Das Auge Gottes selbst zu gestalten. Wir werden tätig. Wir packen an. Der Auftakt ist gemacht.
Das pädagogische Handeln in unseren Waldorfkindergärten und -schulen ist geprägt von den drei Urbedürfnissen – dem Guten, dem Schönen, dem Wahren. Eine Herausforderung in der heutigen Zeit, der man bewusst begegnen sollte.
Seit 10 Tagen läuft bei uns in NRW der Schulbetrieb wieder – mit den strengsten Regelungen bundesweit. Weder unsere schulleitenden Gremien noch wir Lehrer können uns aussuchen, ob wir die Verordnungen so annehmen wollen. Auch als freie Schule nicht. Wir müssen sie umsetzen, wenn wir unser Schulhaus für Präsenzunterricht öffnen.
Maskenpflicht, Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen. Die Sorgen sind groß. Nicht zuletzt um das Bild und die Atmosphäre, die ja die drei Urbedürfnisse erlebbar machen sollen. Die große Frage in diesen Tagen ist: Was macht es mit uns und unseren Kindern, diese Regeln mit ihren Einschränkungen einhalten zu müssen.
So ist es in meiner Klasse
Die Kinder kamen freudig zurück in die Schule. Sie sind erkennbar gut von ihren Eltern auf die schulische Situation vorbereitet worden. Ich habe bislang weder sehr ängstliche noch zu unvorsichtige Kinder erlebt. Alle geben sich viel Mühe, in dieser Situation gut mitzumachen und die Stimmung ist insgesamt noch von der großen Wiedersehensfreude nach der langen Zeit des Lockdowns und rollierenden Schulbetriebs geprägt. Dadurch, dass die Drittklässler an ihren Plätzen den Mundschutz abnehmen dürfen und das Sprechen nicht beeinträchtigt ist, wird auch viel von den Kindern in der Klasse erzählt und mein Unterricht ist mit all seinen Gesprächen und Übungen doch sehr lebendig.
Feste Plätze, viel Warterei
Dadurch, dass die Kinder ihre festen Plätze bekommen und nicht wie sonst helfend durch den Raum wirbeln können, ist einige Wartezeit im täglichen Ablauf vorprogrammiert. Alle Instrumente im rhythmischen Teil verteile ich selbst, ganz zu schweigen von den Handtüchern, Malbrettern, Malkitteln, Farben, Wassergläsern usw. beim Aquarellmalen. Oder Arbeitsblätter. Zum Glück helfen die beiden Integrationskräfte sehr tatkräftig mit und wir drei sind inzwischen ein eingespieltes Team.
Ich überlege mir zudem meist einen kleinen Arbeitsauftrag für`s Warten, aber nicht immer funktioniert es, dass alle gleichermaßen bei der Sache und eben bei sich bleiben. Man hat sich ja auch noch immer viel zu erzählen… Am einfachsten ist es, wenn morgens die Instrumente kommen. Dann heißt es: Jeder darf leise seine Klänge ausprobieren und wir lauschen gemeinsam. Dadurch, dass jedes Kind einen Klang – seinen Klang – bekommt, entspannt sich Vieles.
Wir schauen auf das, was wir dürfen!
Ich bin sehr bemüht darum, einerseits auf die Einhaltung der Regeln gründlich zu achten, andererseits mich und die Kinder aber nicht auf die Verbote, sondern darauf zu fokussieren, was wir noch alles Schönes machen können – und das ist zum Glück gar nicht so wenig.
Positiv bleiben – in der Schule und zu Hause.
Mindestens 10 schöne Dinge im Fokus
Wir können endlich wieder alle zusammen sein
Wir malen viele schöne Bilder
Wir erzählen uns täglich von unseren Erlebnissen und hören Geschichten
Wir spielen und lauschen jeden Tag wundervollen Klanginstrumenten
Wenn wir draußen Spielturnen haben, können wir im großen Kreis schöne Laufspiele machen, Seilchen springen, eine Yogazeit haben oder Hinkelspiele spielen
Wir handwerke(l)n so Einiges
Viele Kinder frühstücken auch gern im Freien
Auch an unserem Platz können wir zumindest kleinere Bewegungen machen: Fuß- und Fingerspiele oder Rhythmusübungen
Wir lachen auch jeden Tag miteinander, das ist sowieso das Beste 🙂
Überhaupt erleben wir uns als Gemeinschaft und nehmen Anteil aneinander
Positiv und authentisch bleiben
So hoffe ich sehr, dass wir diese positive Grundstimmung erhalten können und ich bin mir sicher, die Kinder haben ohnehin längst verstanden, dass diese neuen strengen Regeln nicht auf meinem Mist gewachsen sind. Es steht ihnen nicht plötzlich Lehrerin Oberstreng gegenüber, sondern noch immer ihre Lehrerin, in der gewohnten und vertrauten Beziehung, mit aufrichtigem Interesse an ihnen.
So möchte ich es schaffen, die drei Urbedürfnisse weiterhin im Mittelpunkt meiner Arbeit zu haben – und nicht die Coronaregeln von außen.
So schnell vergehen Sommerferien. Das neue Schuljahr begann für uns Lehrer*innen mit vielen Dingen, die beachtet werden mussten: Nachdem NRW vor den Ferien ja vorgeprescht ist mit zahlreichen Lockerungen, sind wir nun das Bundesland mit den schärfsten Coronaregeln an Schulen. Es gibt daher ein überarbeitetes Hygienekonzept mit vielen neuen Kleinigkeiten im Unterrichtsablauf, Einschränkungen von Unterrichtsaktivitäten wie Singen, chorisch Sprechen und Flöten oder dem bewegten Klassenzimmer. Das hat weite Einschnitte in die waldorfüblichen Abläufe und verlangt viel Kreativität.
Hauptsache positiv denken 🙂
Ich kann für meinen Fall nur sagen, ich war zwar sehr angespannt, ob ich auch an alles denke. Gleichzeitig habe ich mich aber auch unheimlich darauf gefreut, nach 5 (!) Monaten meine Klasse wieder als ganze, gemeinschaftliche Gruppe in Empfang nehmen zu dürfen. Und diese Freude überwog eindeutig – auch bei den Kindern. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Kinder heute sehr gerne kamen und die Eltern ihnen mit auf den Weg gegeben hatten: Es wird ein schöner Tag. Und so spiegelte die Atmosphäre wider: Hier besteht eine sehr vertrauensvolle Basis, auf allen Seiten. Wie so etwas beflügelt! Gerade in Zeiten wie diesen.
Die Eröffnungsgeschichte
Ich hatte zum Einstimmen auf das neue Schuljahr eine Geschichte geschrieben, die zu dem passt, was in den nächsten Monaten auf die Kinder zukommt: 3. Klasse Waldorfschule, das heißt in besonderem Maße wachsen, sich entwickeln und die Dinge in die Hand nehmen. Lebenspraktisch werden. Einen Acker bestellen, ein Bauprojekt angehen, Handwerksberufe erleben. Rechnen, messen, wiegen, planen, gestalten, beobachten, beschreiben, erkennen.
Also ging es in meiner Geschichte darum, dass zwei Bauern einen schönen neuen Stall für ihre Tiere bauen möchten, dabei unterschiedliche Arbeitsweisen an den Tag legen und Erfahrungen sammeln. Die Geschichte könnt Ihr hier nachlesen.
Als ich die Geschichte vorlas, war es mucksmäuschenstill. Einer der wenigen Momente heute übrigens. Ansonsten hatte man sich natürlich viel zu erzählen und einigen fiel es schwer, sich daran zu erinnern, dass man bei der Arbeit auch einfach mal nur an die Arbeit denkt … Es sei ihnen verziehen, nach so langer Zeit der Trennung.
Die Dinge selbst in die Hand nehmen!
Für Kinder ist es wichtig – gerade in diesen Zeiten – selbstwirksam zu sein. Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und das ging heute schon damit los, dass jedes Kind seinen Stundenplan selbst aufgeschrieben hat. Wir haben besprochen, wie die Schultage in Zukunft aussehen werden und parallel dazu wurde schon mitgeschrieben. Die Klasse wird teilweise in zwei Gruppen unterrichtet, diese heißen in diesem Jahr übrigens die Bäcker und die Müller.
Was war noch zu tun? Viel Organisatorisches: Elternpost entgegen nehmen und austeilen, neue Busfahrkarten wurden verteilt, Zeugnisunterschriften geprüft und was man noch so erledigen muss.
Die Geburtstagskinder der Ferien wurden beschenkt und schön besungen – nein, besummt, denn Singen ist ja verboten. Aber schön summen geht ja auch. Und dann war es endlich so weit: Der erste Epochenunterricht der 3. Klasse stand an.
Die erste Epoche des neuen Schuljahres
Wir begannen mit dem Alten Testament und der Schöpfungsgeschichte. Es ging los mit dem großen Gong, einem schönen Gedicht und der Frage, was denn übrig bleibt, wenn man alles wegdenkt, was der Mensch selbst erschaffen hat. War das ein schönes, lebendiges Unterrichtsgespräch! Wie schön es ist, dass die Kinder sich doch noch ganz leicht eine solche, ursprüngliche Welt vorstellen können und dabei auch die kleinsten Tiere zu Wasser und zu Lande, den Wind, den Mond und selbst die kleinsten Kräuter nicht vergessen.
Anschließend habe ich vom Urbeginn erzählt und die Kinder haben passende Klänge gefunden. Als Gott die Welt noch in seinem Herzen und das Wort in seinen Gedanken trug, wurde die Herzklangschale gespielt. Die Engelsklänge der göttlichen Welt wurden von den Kindern eindeutig im Koshi-Klangspiel erkannt. Die Finsternis über der Urflut war im Gong zu erlauschen. Immer wieder haben die Kinder den Klängen im Nachgang der Geschichte gelauscht und durften auch am Platz das eine oder andere Instrument selbst spielen (natürlich mit Handdesinfektion vorab).
Morgen geht es weiter
Morgen wird weiter geklungen, gelauscht, erzählt und der Anfang der Welt aquarelliert. Viel Kunst, viel Seelennahrung, so soll es sein. Ein Mädchen fragte am Ende der Stunde noch mehrmals, ob ich nicht heute schon noch mehr erzählen könne. Es ist schön, wenn es passt.
Für morgen bin ich noch entspannter. Als ich die Kinder heute verabschiedet habe, fiel eine große Last von mir ab. Doch, es hat gut geklappt! Die Kinder haben sich auch bei aller Wiedersehensfreude ganz viel Mühe gegeben, alles richtig zu machen. Vom fröhlichen Wiedersehen, über die vielen Organisationsdinge bis zum Unterrichtseinstieg war es ein guter Neustart. Es wird. Nein, es wird gut!
Es scheint eine exotische Ausnahme zu sein, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin ihre Schützlinge auch einmal außerhalb der Schule besucht und bewusst Zeit mit ihnen verbringt. Immer wieder überrascht es auch neue Waldorfeltern, dass so etwas bei uns üblich ist und der Kontakt zu den Kindern und ihren Familien gepflegt wird. Auch bei Instagram gab es einige Fragen und Interesse an diesem Thema. Hier meine Zusammenfassung.
„Schauen Sie, ob Staub gewischt ist?“
Diese und ähnliche – natürlich nicht ernst gemeinte – Fragen zielen ab auf das WARUM. Warum sollte ein Lehrer zu einem Schüler nach Hause kommen? Welchen Anlass braucht es dazu? Die Antwort ist völlig simpel: Der Grund für einen Besuch ist das Interesse am Kind. Wenn ich mit einem Kind arbeiten möchte, es unterstützen, voranbringen möchte, dann muss ich es immer besser kennenlernen und es verstehen. Und jedes Kind hat ja nicht nur ein „Schulgesicht“, sondern die zweite Seite ist das Zuhause, das Familienleben. Und dabei wird überhaupt nicht gewertet, wie ordentlich, chaotisch, steril oder sonst wie es bei den Familien zugeht.
Wie läuft so ein Hausbesuch denn ab?
Hier gibt es natürlich keinen Leitfaden und keine Vorgaben. Meistens ist es so, dass ich anklingele, die Kinder mich selbst hereinlassen und mir ihr Zuhause zeigen. Ich lerne dabei manchmal Großeltern, manchmal Haustiere kennen, besondere Hobbies und Werkstätten und und und. Es ist so faszinierend zu sehen, was ein Kind wirklich morgens mit zur Schule bringt!
Manchmal haben die Kinder mit ihren Eltern meinen Besuch gemeinsam vorbereitet und dafür Kuchen oder Waffeln gebacken, das muss aber natürlich nicht sein. Manche Familien integrieren meinen Besuch auch einfach in den normalen Alltag und so erlebe ich, wie es normalerweise bei ihnen zu Hause zugeht, nachdem die Eltern gerade von der Arbeit wieder zurück sind, Geschwister abgeholt wurden usw.
Nachdem mir die Kinder also Vieles gezeigt haben, möchten sie meist etwas mit mir spielen oder unternehmen. Das Lieblingsspiel wird herausgeholt, in einigen Fällen haben wir auch zusammen musiziert. Es ergibt sich alles vor Ort – es sei denn, die Kinder haben sich im Vorfeld schon etwas überlegt.
Wer lädt denn ein? Die Lehrerin sich selbst oder die Kinder ihre Lehrerin?
Ich kann da nur für mich sprechen und es ist nicht mein Ding, mich aktiv bei irgendjemandem einzuladen. Ich werde aber nicht müde, bei Elternabenden oder -gesprächen darauf hinzuweisen, dass ich sehr gern Hausbesuche mache 😉 Wenn Eltern mich fragen, wie sie denn einen Termin zum Hausbesuch bekämen, antworte ich meist: „Laden Sie mich doch einfach ein!“ Und schon stehen wir da mit Terminkalender in den Händen.
Ist es ein mobiler Elternsprechtag?
Definitiv nein! Denn wie der Name „Elternsprechtag“ schon sagt, passt es nicht zu dem Anliegen, einem Kind bewusst Zeit zu schenken, wenn man mit Eltern Themen der Erwachsenen zu besprechen hat. Auch Probleme und Konflikte aller Art haben auf einem Hausbesuch meiner Meinung nach nichts zu suchen. Die Atmosphäre sollte unbeschwert sein. Schließlich betrete ich in besonderem Maße die Privatsphäre von Familien. In schwierigen Fällen macht es Sinn, sich im Vorfeld in der Schule zu treffen und die Dinge zu bereden, so dass der Hausbesuch seine schöne Seite behält.
Sicher – wenn man gemeinsam am Tisch sitzt, wird viel erzählt und man erfährt dabei auch viel Neues, manchmal auch besondere Geschichten. Und manchmal gibt es auch noch Fragen. Oder in dem geschützten Rahmen möchten Kinder mir vielleicht auch einmal etwas Schulisches berichten, für das vor Ort noch nicht die Gelegenheit war. Das darf dann selbstverständlich sein. Doch was man an Problemen im Vorfeld auf der Erwachsenenebene klären kann, sollte man auch vorab klären.
Wie oft kann man als Kind besucht werden?
Das hängt von den Einladungen der Familien und natürlich auch meinem Terminkalender ab. In der Vergangenheit gab es durchaus Kinder, die ich mehrfach besucht habe – aber auch Familien, bei denen ich nie war. Es ergibt sich.
Wie gut sollte ein Lehrer ein Kind kennen, bevor er es besucht?
Grundsätzlich geht es ja darum, das Kind kennenzulernen oder noch besser kennenzulernen. Ich habe in meinen Klassen nicht selten auch Kinder besucht, bevor sie ihren ersten Schultag in meiner Klasse hatten. Besonders wenn Quereinsteiger ängstlich oder verunsichert sind, tut es ihnen gut, schon zu wissen, dass ihre Lehrerin sie bereits einmal richtig wahrgenommen hat – was übrigens auch für mich sehr gut ist. Es gibt also auch hier keine Frist.
Und wann findet der nächste Hausbesuch des Montagskindes statt?