(Zu) frühe Einschulung

Heute geht es in unserer Themenreihe „Aufnahme an der Waldorfschule“ um die Auswirkungen, die eine für das Kind zu frühe Einschulung haben kann. Ein Gastbeitrag von Wiebke Vos.

Heranreifen im letzten Kindergartenjahr

Das Einschulungsalter wurde in den vergangenen Jahren von staatlicher Seite aus mehrfach vorgezogen. Dagegen können auch Waldorfschulen nur geringfügig vorgehen, obwohl gerade das letzte Kindergartenjahr oft als sehr wichtig angesehen wird. Hier findet eine wesentliche Abrundung der Entwicklung statt, die Kinder gewinnen an Selbstvertrauen und entwickeln neue Energiepotentiale.

Im Idealfall wird in diesem Jahr die erste Reifestufe der leiblichen Entwicklung erreicht, wonach die Kräfte für das intellektuelle Lernen frei werden.

Kinder lernen durch Erleben

Davor können sensorische Primarerfahrungen gemacht werden, die dabei helfen, die Welt zu verstheen. Kinder lernen durch Erleben. Danach können sie sich etwas vorstellen, ohne es zu erfahren. Das ist ein wichtiger Schritt zur Schulreife.

Bei Mädchen setzen die entscheidenden Entwicklungsschritte etwa ein halbes Jahr früher ein als bei Jungen (IPSUM-Studie). Bei vielen Kindern wird bereits mit fünf Jahren eine gewisse intellektuelle Reife festgestellt. Jedoch wird die soziale Reife oft nicht ausreichend berücksichtigt. Körperliche und seelische Reife liegen oft weit auseinander.

Jung eingeschulte Kinder sind dadurch oft weniger belastbar, weniger flexibel genug und haben Schwächen im Sozialen. Bei einer frühen Einschulung, also auch bei Forderung von staatlicher Seite danach, werden oft nur die kognitiven, nicht aber die entwicklungspsychologischen Gegebenheiten berücksichtigt.

Das freie Spiel

Das primäre Bedürfnis des jungen Kindes ist das freie Spiel: Bewegung, Naturerfahrung, Handwerkern, musizieren – aber nicht angeleitet. Nach diesem Bedürfnis muss der Unterricht auch für junge Kinder angepasst werden. Dafür müssen Lehrer:innen in der Pädagogik des ersten Jahrsiebts mehr geschult werden, um adäquate Bildungsangebote schaffen zu können.

Die Frage, die sich stellt, ist dann jedoch: Wie kann die Lern- und Bildungsqualität, die im freien Spiel liegt, in dem Rahmen Schule angemessen und fruchtbar angeregt werden und dabei gleichzeitig auch älteren Kindern gerecht werden?

Übersicht

Entwicklung und Reife durch Spiel

Am heutigen Tag unserer Themenwoche „Aufnahme an der Waldorfschule“ geht es um die Spielreife. Hier hat Kathrin Schuster von @beziehungskunst.weimar (Instagram) die wichtigen Entwicklungsschritte in den ersten Lebensjahren dargestellt und aus anthroposophischer Sicht beleuchtet. Ich möchte einmal dazustellen, welche Möglichkeiten ein spielerisch-künstlerischer Ansatz bietet, den Übergang vom Kindergarten in die Schule zu gestalten.

Kinder im ersten Jahrsiebt

Hier hat Kathrin auch sehr die innere Haltung, mit denen wir Kindern begegnen sowie passend dazu die drei wichtigen Entwicklungsstufen – das Gehen-, Sprechen- und Denkenlernen -herausgestellt. Ich mag sehr ihr Zitat „Das Kind spielt sich durch die frühe Kindheit“. Dazu braucht es für sich eine Umgebung, die Ruhe, Versorgung, einen verlässlichen und rhythmischen Tagesablauf sowie Sinneserfahrungen bietet. Kinder verarbeiten Erlebtes oder Gesehenes aus dem Inneren heraus durch ihr Spiel.

Mehr zum ersten Jahrsiebt findet Ihr auch hier auf meinem Blog.

Wie gestaltet man einen Übergang zur Schule?

Das ist im Grunde die zentrale Herausforderung für einen gelungenen Schulanfang. Denn in der Schule wirken viele neue Inhalte von außen ein. Kathrin schlägt vor, dass Kindergärten und Schulen sich im Vorfeld mehr besuchen und austauschen sollten. Das wäre sicherlich hilfreich. In meinem Fall muss ich aber auch sagen, dass ich innerhalb meiner Klasse mehrere Kindergärten im Einzugsbereich hatte und es mir dazu als 8.Klass-Lehrerin im Vorfeld leider nur sehr begrenzt möglich war, in einen größeren Austausch zu kommen.

Dennoch ist es möglich, den Schulanfang so zu gestalten, dass das Spielerische mit Künstlerischem versehen und so äußere Vorgaben umgesetzt werden können.

Vom Spiel zur Kunst

Das Spielen ist für Kinder eine ersthafte Angelegenheit und damit kein Lustprinzip in der Form, wie wir Erwachsenen es erleben, wenn wir uns Zeit für eine Partie unseres liebsten Karten- oder Brettspiels nehmen. Kinder setzen sich im Spiel sehr ernsthaft mit ihrer Umwelt und ihren Vorbildern auseinander. In der Phase des Übergangs ist nun darauf zu achten, dass die Nachahmungskräfte einbezogen und sich das Spielen aus dem Inneren heraus auch kreativ, in künstlerischer Weise mit neuen Inhalten verbinden kann.

  • Wenn etwa gemeinschaftlich gebaut wird, bedarf es schon einiger äußerer Vorgaben, aber auch gleichzeitig eigener Ideen bei der Übernahme von Arbeiten. Dazu sind neben Geschicklichkeit auch das Treffen von Absprachen und die Zusammenarbeit mit anderen wichtige Lernfelder.
  • Bei Gruppenspielen werden Rollen wie Fänger, Verstecker usw. übernommen und auf eigene Weise ausgefüllt.
  • Noch mehr geschieht dies durch szenische Darstellungen bei kleinen Theaterspielen. Dabei werden auch Sprache, Sprechen und Gesten eingeübt und erarbeitet.
  • verschiedenste Bewegungsabläufe wie Schleichen, Hüpfen, Rennen, in die Hocke gehen, jemanden antippen usw. werden geübt und auf eigene Weise passend nach bestimmten Regeln und Signalen eingesetzt.
  • Beim Malen oder Plastizieren müssen zwar auch bestimmte Inhalte beachtet werden, es kommt jedoch auch wiederum eine größere Freiheit bei der inneren Betätigung hinzu.

Mit einem geschulten Blick für den Entwicklungsstand der Kinder lässt sich auf diese Weise ein Unterricht gestalten, der die Notwendigkeit und Ernsthaftigkeit des Spiels berücksichtigt, Freiraum für Kreativität lässt und gleichzeitig Inhalte an die Kinder heranführt. Die Anteile werden sich im Laufe der Zeit verändern, so wie es für die Kinder passend ist.

Das Spiel wirkt von innen nach außen,
Schule und Arbeitsaufträge von außen nach innen.

Nicht umsonst braucht es Erziehungskünstler.

Meine Erfahrungen und Gedanken

Ich fasse mich kurz: Wenn man Erstklass-Lehrer:in ist, sind viele neue, unbekannte Augenpaare auf einen gerichtet. Nicht wenige sind in freudiger Erwartung erster schöner Lernerfolge. Doch davon sollte man sich ein stückweit lösen, sich Zeit für die Kinder nehmen und die Ruhe bewahren.

Wenn man erst einmal mehr am Beziehungsaufbau, den guten Gewohnheiten und verlässlichen Routinen arbeitet, sind schon gute Lernvoraussetzungen geschaffen. Fließt das Künstlerische dazu ein, kann ein ruhiger Übergang gelingen.

Inforeihe „Die Schulreife“

Bei Instagram hat sich eine Reihe von Waldorfpädagog:innen zusammengefunden, um das Thema „Aufnahme an der Waldorfschule“ und Schulreife von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten. Auch ich möchte dies auf meinem Blog begleiten, teilweise darf ich mich auch über Gast-Autor:innen freuen.

Der Einstieg

Als erstes gibt Kerstin Gruler-Fuchs, die schon einmal einen Gastbeitrag für meinen Blog zum Thema Kinderbücher geschrieben hat (inzwischen ist ihr eigenes Buch „Des Jahres bunte Kinder“ erschienen), einen Einstieg:

Schulwahl und Einschulung sind Themen, welche durchaus auch die Gemüter erhitzen können, Sorgen bereiten, Lebenslinien beeinflussen und die gleichzeitig von einem ganz natürlichen Prozess begleitet werden…. der Schulreife.

  • Wann ist mein Kind schulreif und was geht der Schulreife vielleicht sogar voraus? Und was haben der Zahnwechsel und der Körperbau des Kindes damit zu tun?
  • Wie sieht eigentlich so eine Aufnahme an der Waldorfschule aus? Kann ich mich vorbereiten? Und was ist, wenn mir eine Rückstellung empfohlen wird oder wir keinen Schulplatz bekommen?
  • Gibt es Literatur für mich, wo ich das nachlesen kann?
  • Ist die Waldorfschule nicht für alle Kinder die beste Schule?
Das sind die Themen unserer Inforeihe

Diese Fragen und noch mehr haben wir für Euch bewegt. In den kommenden Tagen könnt Ihr dazu hier und bei Instagram auf folgenden Profilen nachlesen: @waldorf.mama, @wachsmalbloeckchen, @waldorf.inklusiv, @waldorf.klassenlehrerin, @beziehungskunst.weimar und bei mir: @waldorf.lehrerin

Auch mein Kalender ist bereits wieder mit Kennenlernterminen gefüllt

Aktuell führen meine Kollegin und ich alle Erstgespräche mit den Familien, die ihr Kind an unserer Schule angemeldet haben. So findet ein erster Kontakt auf sehr persönlicher Ebene statt, die Kinder spielen und malen mit uns und wir lernen dabei die Familien erstmals kennen. Auch individuelle Fragen können in diesem Rahmen ganz in Ruhe besprochen werden.

Anschließend gibt es auch an unserer Schule noch ein größeres Treffen, bei dem alle Kolleg:innen aus dem Klassenlehrerbereich mitwirken. Wir haben dann weitere Informationen für die Eltern und die Kinder erleben in einer Gruppe das gemeinsame Spiel, Geschichten und Aquarellmalen. Danach haben alle, die unsere Schulgemeinschaft bilden (möchten), ein erstes Bild des Miteinanders gewonnen und können noch einmal ganz in Ruhe in sich gehen.

Die neue erste Klasse fügt sich also in diesem Prozess zusammen.

Eure Fragen

sind mir wie immer auch sehr willkommen. Daraus ergeben sich ja oft auch neue Themen, die viele interessieren. Hier kannst Du mir schreiben: