Über Freihandgeometrie

Meine Klasse hat das neue Jahr mit einer Epoche „Freihandgeometrie“ begonnen. Dies ist ein Übergang vom Formenzeichnen der Schuljahre eins bis vier: Vom Formenerleben hin zur Gesetzmäßigkeiten der Formen. Es werden erste Begriffe und Definitionen eingeführt und auch der Zirkel kommt dann bald als neues Werkzeug hinzu – dabei wird die Handhabung zunächst auf künstlerischer Ebene geübt.

Kreise auf einem Aquarellbild

Das Formenzeichnen legte die Grundsteine

Beim Formenzeichnen in den Schuljahren eins bis vier standen die graphomotorischen Übungen, das Erleben der Formen an sich (Spiegelungen, Symmetrien, Richtungen…) und die Schulung der ästhetischen Wahrnehmung im Mittelpunkt des Prozesses. Die Erschließung einer Form ist ein ganzheitliches Erleben, von der äußeren zur inneren Bewegung. Es fordert geistige Tätigkeit, ist dabei aber frei von Intellekt.

Im fünften Schuljahr kommt genau dies hinzu. Es folgt mit dem Übergang zur Geometrie das Bewusstsein von den Gesetzmäßigkeiten und Berechenbarkeiten der Formen.

Vom Zeichnen zum Konstruieren – ein Prozess

In der Freihandgeometrie wird von den Kindern zunächst die bisher erarbeitete zeichnerische Sicherheit wieder aktiviert, die sie sich seit ihrer ersten Begegnung mit der Geraden und der Gebogenen (oder „Krummen“) stets vertieft und erweitert haben. Auge-Hand-Koordination ist hier gefragt: Die Hand spurt souverän das Rund des Kreises, führt sorgsam und akkurat die Gerade. Gleichzeitig hat das Kind sofort im Blick, ob die entstandene Form dem Ziel entspricht, korrigiert, spurt weiter.

Dazu kommen nun das Bewusstsein für die Gesetzmäßigkeiten der Formen und ihre Beziehung zueinander: Die Strecken im Kreis, die Geraden am Kreis, die Winkel, Drei- und Vierecke.

Dadurch, dass die Kinder noch nicht „verkopft“ die Arbeitsmittel zur Hand nehmen, erleben sie beim freihändigem Zeichnen die Form intensiv und können dadurch neue Erkenntnisse ins Bewusstsein rufen.

Die Harmonie der Fünftklässler:innen

An dieser Stelle trifft das seelische Erleben auf die zunehmenden Möglichkeit, die Welt zu erforschen und mit bewussten Gedanken zu ergreifen. Zudem kommt das Erleben der eigenen Fähigkeiten beim Zeichnen hinzu. Ein schöner, ganzheitlicher Einklang!

Wunsch nach Exaktheit

Der nächste Schritt ist der Einsatz der Werkzeuge Zirkel und Geometrie-Dreieck. Mit ihrer Hilfe können ganz sicher exakte Ergebnisse erzielt werden. Und dies ist dann auch schon automatisch der Wunsch (und Anspruch) der Kinder, damit die neu gewonnenen Erkenntnisse auch möglichst genau umgesetzt werden können.

Die Einführung des Zirkels

Nachdem die ersten Kreise frei Hand gezeichnet wurden, ist nun auch der Zirkel an der Reihe. Die Übung der Handhabung erfolgt aber zunächst wiederum über das künstlerische Arbeiten. Ab Klasse 6 werden dann Dreiecke mit dem Zirkel konstruiert, das Lot gefällt usw. Dann liegt das Arbeitsgerät aber auch schon sicher in der Hand.

Geometrie erfordert viele Fähigkeiten und Übung

Dies sind die Kenntnisse über Begriffe und Definitionen, das Anwenden von Formeln und das Konstruieren als Tätigkeit mit den Händen. Letzteres erfordert einen sicheren Umgang mit den Arbeitsgeräten. Über die Freihandgeometrie kann ich die Kinder dorthin Schritt für Schritt führen.

Der neue Epochenplan ist fertig

Ein neues Schuljahr zu planen, ist jedes Jahr und immer wieder etwas ganz Besonderes. Das sind diese Momente, in denen man als Waldorflehrer:in die Freiheiten und Besonderheiten des Berufs besonders spürt, wie ich finde.

Die Epochen und der Lehrplan

In der Waldorfpädagogik geht es darum, die kindliche Entwicklung zu fördern und den Kindern Antworten auf ihre vielfältigen Fragen an die Welt zu geben. Es geht also nicht darum, dass etwas unterrichtet wird, sondern auch wie und vor allem wann (in welchem Entwicklungsalter ist es passend?) Deshalb sind bei uns manche Themen und Fächer früher (Bruchrechnung, Fremdsprachen) und andere später (Einsatz von Medien, bestimmte Sachthemen, Einsatz von Geometriedreieck und Zirkel) an der Reihe im Vergleich zum staatlichen Schulsystem – und mitunter auch im Vergleich zu anderen Klassen.

Nun zu meiner Klasse. Die neuen Fünftklässler:innen stehen mit beiden Beinen fest im Leben und möchten alles um sich herum näher erforschen, vertiefenden Fragen nachgehen und Zusammenhänge ergründen. Sie haben ihre erste große Entwicklungskrise voll und ganz überwunden und verbinden sich mit vielen Inhalten. Die Pubertät ist zwar nicht mehr weit, aber eben auch noch nicht mit großen Wachstums- und Hormonschüben angekommen.

Eine schöne Zeit, die eine Vielfalt an Themen bietet, die sowohl das Verhältnis von Mensch und Umwelt, als auch die Menschentwicklung abbilden: Da wären die alten Kulturen, das antike Griechenland, die Welt der Pflanzen und Tiere, die Vielfalt Deutschlands und so viel mehr. Verschiedene Texte – Nacherzählungen, Sachtexte, die eigene Meinung – werden produziert, dabei Grammatik erforscht und die Rechtschreibung weiter geübt. Die Bruchrechnung wird umfassend erschlossen, die bisher erlernten Rechenverfahren dazu weiterhin geübt und gefestigt. Es gibt also viel zu entdecken und zu tun – und das hoffentlich mit ganz viel Lernfreude!

Beziehung und Kreativität

Vier Jahre habe ich mit meiner Klasse bereits verbracht. Zu meinem großen Bedauern sind diese Jahre unglaublich schnell verflogen und wir haben inzwischen „Klassenlehrer-Halbzeit“. Dass ich die Klasse als funktionierende Gruppe so gut kenne und weiß, was die Kinder für ihre nächsten Schritte brauchen und was ihnen gefällt, fließt natürlich voll und ganz in die Gestaltung des neuen Epochenplans ein. Mir ist bewusst, woran sie Freude haben und wie ich sie „mitnehmen“ kann. So bekommt der neue Plan dann auch einen ganz eigenen Schliff, der eben genau zu dieser Klasse passt.

Mit Blick auf die Unterlagen, die ich aus meiner letzten 5. Klasse aufbewahrt habe, spüre ich übrigens das, was gerade die aktuelle Klasse ausmacht, im Vergleich zur ehemaligen Klasse noch einmal besonders. Und es macht sehr zufrieden, genau darauf eingehen zu können. Einfach nur genial, dass ich diesen Freiraum nutzen und auch eigene Epochen passend konzeptionieren kann.

Startklar!

Die Sommerferien sind zum Glück 6 Wochen lang. Zeit, um das vergangene Schuljahr sacken zu lassen, Zeit zum Erholen, Zeit für neue Pläne. Viele Ideen habe ich gesammelt und wirken lassen – und jetzt, wo das neue Schuljahr vor der Tür steht, wird alles konkret.

Das Puzzle und die Reihenfolgen

Rein technisch muss man erst einmal schauen, wie viele Wochen zwischen den jeweiligen Ferien liegen und diese Zeit aufteilen in verschieden lange Epochen, so wie es am besten passt. Die Pflanzenkunde-Epoche zum Thema Frühblüher kann natürlich nur im Frühjahr stattfinden. Wollen wir draußen auf dem Sportplatz eine Olympiade veranstalten? Das Thema antikes Griechenland passt ohnehin gut in die Sommerzeit. Und so setzt sich das Puzzle „Epochenplan“ nach und nach zusammen.

Zum Auftakt des Schuljahres wird das Neue spürbar: Mit einem ganz neuen Themenbereich, einem neuen Arbeitsmittel oder einer neuen Lernmethode beginnt der Weg in die neue Klassenstufe. Es gilt, den Stoff sinnvoll aufzubauen, vor jeden Ferien einen schönen Abschnitt geschafft zu haben und froh auf das nächste Stück Weg zu blicken.

Doch noch ist aber alles geheim. Die ersten, die den Plan näher kennenlernen, werden meine Schüler:innen sein. Sie werden ihn dann mit nach Hause bringen und ihren Eltern von unseren Plänen berichten. Auf dem ersten Elternabend, der zeitnah stattfindet, erfahren die Eltern dann von mir Näheres zu den menschenkundlichen Hintergründen und warum genau das unser Epochenplan ist. Oftmals bekomme ich dann auch schon erste Rückmeldungen, was die Kinder zu Hause berichtet haben oder worauf sie sich schon an meisten freuen.

Ein neues Schuljahr steckt voller neuer Chancen, Herausforderungen und Überraschungen. Wir können es aktiv gestalten!

Montagskindblog

Wenn Zeugnissprüche ruhen

Am letzten Schultag haben die Kinder meiner Klasse ihre neuen Zeugnissprüche für das kommende Schuljahr feierlich entgegengenommen. Ich habe sie ihnen vorgelesen, auf ihrem Aquarell konnten sie sie anschließend selbst lesen und nun begleiten die Sprüche sie bereits – egal, ob sie noch unbeachtet in der Schultasche schlummern oder vielleicht auch schon an einem kleinen Ehrenplätzchen stehen oder hängen. Auch mich begleiten sie.

Von der Bewegung zur Ruhe kommen

Das ist wohl das, was so ein Ferienbeginn ausmacht. Besonders auf der letzten Zielgeraden vor der Zeugnisausgabe gibt es gefühlte 1000 Dinge parallel zu tun, der Kopf ist voller Gedanken, der Tagesablauf voller abzuarbeitender To-Do-Listen.

Während ich in den letzten Wochen eines Schuljahres beim Zeugnisschreiben intensiv an jedes Kind denke, fallen mir die Sprüche quasi von selbst und auch ziemlich unvermittelt ein. Daher habe ich mein Zeugnisspruch-Notizbüchlein immer dabei. Ich schreibe dann schnell auf, was mir in den Sinn kam. In der folgenden Zeit lese ich die Sprüche immer wieder, verfeinere sie, streiche auch Manches und setze bewusst bestimmte sprachliche Mittel ein.

Einmal aufgeschrieben, werden die Sprüche also von mir immer weiter bewegt – bis ich sie auf das Aquarell des jeweiligen Kindes schreibe. Danach wird nichts mehr verändert und ich lasse den Spruch los.

Jetzt, in den Ferien, darf sich diese künstlerische Arbeit ebenso wie viele andere Dinge setzen. Zwischendurch schwirren auch die neuen Zeugnissprüche immer wieder in meinem Kopf herum und bekommen mit der Zeit eine andere Qualität. Ich bin sehr gespannt, wenn sie zum ersten Mal von den Kindern selbst gesprochen werden, wie meine Schüler:innen sie für sich ergriffen haben in diesen Wochen.

Eine kleine Auswahl

Ich werde immer mal wieder danach gefragt, die Sprüche auch zu veröffentlichen. Ich habe drei der neuen Sprüche herausgesucht. Sie sprechen drei besondere Epoche des neuen Schuljahres an: Die Erdkunde, die Pflanzenkunde und die alten Kulturen.

Jeder Spruch hat sein Kind

Doch mir ist es wichtig, an dieser Stelle auch zu betonen, dass es so etwas wie einen Lieblingsspruch nicht gibt. Jeder Spruch hat sein Kind und jedes Kind hat seinen Spruch.