Die Qualität des Klassenzimmers

Gerade in Zeiten, in denen viel passiert, ist deutlich zu spüren, was an nicht Sichtbarem mit ins Klassenzimmer gebracht wird und was nicht. Und was so ein Klassenraum alles zur Qualität des Miteinanders beiträgt.

Wie geht´s uns denn heute?

Nicht alles wird (sogleich) offen ausgesprochen, doch jeder Schultag beginnt mit der allgemeinen Wahrnehmung: Wie ist unsere Stimmung heute in der Klassengemeinschaft? Müde Augen, Gekicher, vertiefte Gespräche, Rückzug mit und ohne Kapuze auf dem Kopf, freundliche Grüße untereinander… in dem Moment des Hereinkommens wird manch Unsichtbares sichtbar.

An vielen Tagen stehe ich morgens an der Klassenzimmertür und begrüße ich die Kinder einzeln. Ihr „Guten Morgen“, dieser mini Moment, zeigt schon Vieles: Blickkontakt, Stimme, Körperhaltung. Die vielen Einzeleindrücke sind der erste Teil unseres täglichen Miteinanders.

An Tagen mit früher Aufsicht bin ich hingegen oft die Letzte, die den Raum betritt, da unsere liebe Helferin die Kinder dann schon einmal hinein lässt. Wenn ich dann ankomme, trete ich bereits in eine Gesamtstimmung ein, aber ohne Einzelwahrnehmung.

Was ich lieber mag? Mir persönlich liegt es sehr, jedes einzelne Kind einmal kurz wahrzunehmen – auch in Fachstunden, soweit dies möglich ist.

Was sich so zeigt

Eine typische Situation: Wenn ich ein Kind zuvor am Treppenaufgang angelehnt stehen sehe und es noch sehr zurückgezogen und verträumt wirkt, dann aber mit dem Hereinkommen ins Klassenzimmer regelrecht aufwacht, wird spätestens klar: Dieser Raum bedeutet etwas. Hier sind wir unter uns, miteinander vertraut, der Klassenraum ist auch ein Schutzraum. Diese Szene spielt sich morgens vielfach ab.

Und was außen vor bleiben kann und darf

Manchmal kommt es vor, dass man als Lehrerin über familiäre Veränderungen informiert wird mit der Bitte, einen guten Blick auf das jeweilige Kind zu haben. Dies sind sehr hilfreiche Elterngespräche für den Umgang im Schulalltag. Sie helfen, ein Kind in einer besonderen Lage zu sehen und zu verstehen, wenn es selbst noch nicht in Worte fassen kann oder möchte, was gerade geschieht.

Doch kann es aber auch ebenso vorkommen, dass man die angesprochenen Veränderungen an dem Kind erst einmal wenig bemerkt – eben, weil es in der Klassengemeinschaft noch andere Themen gibt und Familienstress tatsächlich außen vor gelassen wird. Oder andersherum fragen sich Eltern, warum ihr Kind eigentlich so wenig von der Schule erzählt. Höchstens mal was aus der Pause.

Farbige Wände

Viele Menschen schmunzeln über die farbigen Wände in Waldorfschulen. Doch sie tragen auch dazu bei, dass Erleben von „drinnen“ und „draußen“ sicht- und spürbarer zu machen.

Klassenraum mit Wohnzimmeratmosphäre?

Es darf sich schon nach Arbeit und Arbeitsplatz anfühlen – bei aller schöner Deko, die wir ja auch pflegen. Manche Sitzordnungen sind auch schnell veränderbar – zu Gruppentischen, mit Platz für Gesprächskreise ohne Tisch dazwischen. Warum nicht. Hat man einen festen Raum, kann man ihn einrichten und gestalten, wie es für die Lerngruppe am besten passt.

Unterricht mit offener Tür?

Viele mögen es, ich in kein Fan. Eben weil ich unseren Klassenraum als Schutzraum mit all seinem Lern-, Arbeits- und Gemeinschaftsthemen gern abgrenzen möchte von dem großen Ganzen, das auch noch um uns herum ist.

Sicherlich kann es durchaus auch vorkommen, dass die Kinder sich in Arbeitsphasen auch außerhalb des Raumes einen ruhigen Winkel für kleine Gruppenarbeiten suchen dürfen. Dann bleibt die Tür für diese Zeit auch geöffnet. Aber grundsätzlich lebt in unserem Klassenzimmer ein vertrautes „Unter uns“. Und viele Dinge bleiben auch dort.

Klassenumzüge

Meine Klasse ist in ihrem jeweiligen Klassenraum regelrecht beheimatet. Und doch beginnt jedes Schuljahr mit einem neuen Raum, der gemeinsam ergriffen wird für alles Neue, was da kommt (neue Wandfarbe inklusive 😉 ). Gemeinsam wird gestaltet, erlebt, gelernt – wieder eine Jahrgangsstufe weiter. Es dauert nicht lange und der Raum wird „unser“ Raum. Natürlich findet auch Unterricht in Fachräumen statt. Dann sucht die Klasse die Lehrperson auf und nicht andersherum. Was natürlich auch kein Problem ist.

Doch das, was die Klassenlehrer:innenzeit ausmacht: Die Bezugsperson, der eigene Raum, das gelebte Miteinander – es braucht eben diese vier Wände. Dort hängen die Kunstwerke und Arbeiten der Kinder, die Klasseninfos, dort hat jedes Kind ein eigenes Fach und einen festen Platz.

Bald ist es übrigens wieder so weit: Wir packen unsere Sachen zusammen und der nächste Klassenumzug wartet… Die Kisten werden gepackt, der neue Raum besichtigt, geplant, geräumt. Abschied und neues Ankommen, wie in jedem Sommer. Wir freuen uns darauf.

Bewegtes Klassenzimmer

Hierzu gibt es einen eigenen Blogartikel, schaut mal vorbei!

Das bewegte Klassenzimmer

Raumstruktur, Flexibilität und Miteinander – in vielen Klassenzimmern sind die Bänkchen, das Bochumer Modell, nicht mehr wegzudenken. Es bietet viele Möglichkeiten, die einzelnen Unterrichtsphasen zu gestalten und vor allem eins: Kinder in Bewegung.

Über die Bänkchen als Klassenzimmermobiliar

  • Sie können von den Kindern selbst umgestellt werden können.
  • Sie sind stapelbar und damit kann bei Bedarf viel Platz geschaffen werden.
  • Dreht man sie um, hat man einen kleinen Balancierbalken, der aber auch als Hürde eingesetzt werden kann.
  • Die Sitzfläche ist groß genug, dass sie Kinder sie auch als Tisch benutzen können, wenn sie frühstücken oder arbeiten. Es passen gut zwei aufgeschlagene Epochenhefte im Querformat darauf.

Kinderleicht verstellt und viel gewonnen

Die Bänkchen sind vielfältig und das Beste ist: Die Kinder stellen sie selbst um. Dabei spüren sie ihre Kräfte und das zu tragende Gewicht sorgt erst für erhöhte Körperspannung, danach für ein Gefühl der Entspannung. Außerdem üben die Kinder, miteinander zu arbeiten – immer zwei stellen ein Bänkchen, während dies um sie herum abe auch auch alle anderen Kinder tun. Am Ende muss eine Formation für die ganze Klasse stehen: Möglichst zügig und ganz sicher ohne Kollisionen.

Alle helfen mit und das ist eine kleine soziale Herausforderung: Wenn zwei Kinder ein Bänkchen tragen, dabei darf das eine Kind nicht schneller oder langsamer laufen als das andere Kind. Und wenn zusätzlich die ganze Klasse gleichzeitig alle Bänkchen verstellt, muss man auch einmal warten oder andere vorbeilassen, bis das Bänkchen am gewünschten Ort abgestellt werden kann – auch wenn man gern selbst schon dorthin möchte. Ein anderes Mal ist man aber auch schnell fertig und kann vielleicht noch anderen dabei helfen, ihr Bänkchen richtig zu platzieren – oder einfach mit schauen, ob die Formation insgesamt gut steht.

Das Umstellen der Bänkchen ist aber nicht nur eine kleine soziale Bewegungseinheit zwischendurch, es erfordert und schult auch die räumliche Orientierung im Klassenzimmer. Die Sitzordnung wird stets eingehalten und auch an dieser Stelle ist spürbar, dass es verlässliche Regeln und eine jederzeit schützende Ordnung in der Klasse gibt. Jedes einzelne Kind darf sich sicher, selbstwirksam und selbständig fühlen.

Die alltäglichen Formationen

Die verschiedenen Bänkchen-Formationen geben den verschiedenen Phasen der Epochenzeit ein „Gesicht“ im Raum. Und natürlich ist die jeweilige Struktur auch sehr hilfreich.

Parcours

Manche Kolleg:innen starten mit einem kleinen „Begrüßungsparcours“, der die Kinder jeden Tag neu in die Klasse einlädt.

Morgenkreis, gemeinsame Erarbeitung

Die erste Formation ist dann der Morgenkreis. Vieles wird auch gemeinsam in der Kreismitte erarbeitet, ausprobiert und angeschaut.

Reihen

Wenn jedoch an der Tafel gearbeitet wird und abgeschrieben werden muss, bieten sich die Reihen an. Hier müssen die Kinder dann wissen, in welche Reihe und an welche Stelle ihr Bänkchen stehen muss.

Das ist nur eine kleine Auswahl. Der Kreativität und den Möglichkeiten sind praktisch kaum Grenzen gesetzt.

Die Kissen sind eine schöne Ergänzung.

Sie können zum Sitzen flach und hochkant genutzt werden. Außerdem sind sie auch für eigene Spiele z.B. als Flusssteine oder zum Bau einer Höhle, in Kombination mit den Bänkchen, zu verwenden

Meine Erfahrung: Vor- und Nachteile

Die Vorteile sind ja bereits klar dargestellt: Die Bewegungs- und Körpererfahrungen, die Tages- und Raumstruktur, das soziale Miteinander. All das möchte ich nicht missen und würde es in den Schuleingangsklassen auch jederzeit befürworten.

Ich habe bei meiner Arbeit aber auch beobachtet, dass manche Kinder sich auch einmal zwischendurch richtig anlehnen wollen. Das ist an den Bänkchen so nicht immer möglich. Daher habe ich die Kinder bei bestimmten Übungen auch manchmal Rücken an Rücken sitzen und sich gegenseitig anlehnen lassen.

Zudem hatte ich hinten in meiner Klasse immer auch einen kleinen Gruppenarbeitsplatz aus zwei kleinen Doppeltischen mit Stühlen aus dem üblichen Schulmobiliar eingerichtet. Diese Plätze wurden in Arbeitsphasen bei Bedarf flexibel genutzt, ansonsten wurde auf den Tischen auch mal etwas zum Betrachten ausgestellt.

Insgesamt – Ihr merkt es – bin ich ein großer Fan des bewegten Klassenzimmers. Schreibt mir auch gern von Euren Erfahrungen!