„Ich will lieber zu Hause bleiben! – Wenn der Morgen zur Zerreißprobe wird

Es betrifft viele Kinder, besonders aber hochsensible oder neurodivergente Kinder: Die Hürde des Übergangsmoments, die morgens noch höher zu liegen scheint. Ich möchte einmal einen gesundheitspädagogischen Blick auf die all zu bekannte Schwellensituation werfen.

Viele kennen es

Die Schultasche ist sorgfältig gepackt, Jacke und Schuhe liegen bereit. Der Zeitplan wäre machbar – und doch. Dein Kind sitzt mit verschränkten Armen im Flur oder weint plötzlich. „Ich will nicht gehen.“

Vier Worte stellen den Morgen auf den Kopf

Was erst einmal wie Bockigkeit oder Unwille aussieht, ist insbesondere für hochsensible und neurodivergente Kinder (Anm. Autismus / AD(H)S) oft eine echte neurologische Hürde. Der Übergang von einer Situation in die nächste, ein Zustand in den anderen, von der Sicherheit zu Hase in die Unvorhersehbarkeit der Außenwelt. Das ist keine Kleinigkeit.

Was passiert im Übergangsmoment?

Übergänge sind für das menschliche Gehirn grundsätzlich herausfordernd. Wir erlassen einen bekannten, kontrollierbaren Zustand bewegen uns in etwas Neues, Ungewisses. Da könnte man doch sagen: Der Schultag ist doch beizeiten auch schon fest vertraut. Ist er aber nicht. Manchmal fehlen Kinder oder Lehrer, dann gibt es plötzlich Gruppenarbeiten mit Präsentation, jede Pause scheint chaotisch…. und und und

Die Vorhersehbarkeit endet tatsächlich an der Haustür

Zuhause kennt ein Kind jeden Winkel, jedes Geräusch, jeden Ablauf. Draußen warten so viele Variablen. Jede Ungewissheit aktiviert das Stresssystem. Der Körper reagiert mit: „Ich bin noch nicht bereit“. Hoch sensible Kinder brauchen oft länger, um sich zu sammeln, zu zentrieren, anzukommen. Auch zunächst mal in sich selbst. Der Übergang nach draußen verlangt eine eine innere Stabilität, die morgens oftmals noch nicht da ist.

Warum gerade morgens?

Dazu ein kurzer Überblick:

  • Nach dem Aufwachen steigt das Stresshormon Cortisol natürlicherweise an. Bei manchen Kindern geschieht das steiler und früher, was sie reizbarer und damit auch weniger flexibel macht.
  • Auch die Bewältigungsstrategien müssen sich erst warmlaufen. Die kognitiven Ressourcen, die Kinder tagsüber nutzen, um mit Stress umzugehen, sind morgens noch nicht „hochgefahren“.
  • Schlafträgheit ist ein weiteres Thema. Manche Kinder brauchen naturgemäß länger, um vom Schlaf- in den Wachzustand zu wechseln.
  • Antizipationsstress kommt hinzu. Damit ist gemeint: Eine Stresserfahrung vom Vortag (Streit, Überforderung usw.) wirkt am nächsten Morgen wie ein zusätzlicher Ziegelstein im Schultornister.

Was hilft

  • Zuvor bekannte Änderungen des Tagesablaufs vorbesprechen
  • Extra-Zeit zum „sich sammeln“, ohne irgendwelche Anforderungen wie Anziehen, Frühstücken, Zähneputzen.
  • Ein vertrauter Abschiedssatz „Ich bin da, wenn Du wiederkommst.“
  • Eltern, die selbst reguliert sind. Gönn Dir einen Achtsamkeitsmoment am Morgen.

Was nicht hilft

  • Übergehen der Gefühle à la „Reiß dich mal zusammen!“
  • Belohnungssysteme für Grundbedürfnisse wie „Wenn wir pünktlich das Haus verlassen haben, gibt es ein Glitzer-Sternchen.“
  • Einreden , Überreden und Diskutieren. Wenn das Nervensystem gestresst ist, kann der rationale Teil des Gehirns nicht mehr erreicht werde. Lange erklären verpuffen oder schlimmer noch: Sie sorgen für noch mehr Stress, weil du dich dabei in Rage reden kannst.

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